Ohne Leine ist auch nicht immer frei

Gemeinsam die Umgebung entdecken

Nimm dir Zeit, mit deinem Hund die Umwelt anzuschauen. Mit etwas Übung und der richtigen Ruhe könnt ihr sogar gemeinsam Wild beobachten.

Brut- und Setzzeit im Frühjahr

Mit dem Ende der Jagdsaison im November beginnt gefühlt direkt die Brut- und Setzzeit. In den meisten Kantonen gilt zwischen April und Ende Juli im Wald und in Waldnähe für unsere Hunde eine Leinenpflicht. Im Kanton Bern müssen Hunde, wie auch sonst das ganze Jahr über, nicht angeleint, sondern nur «jederzeit wirksam unter Kontrolle» gehalten sein. (Was auch immer dies heissen mag. Ich wäre schon froh, wenn ich schon nur mich selbst jederzeit wirksam unter Kontrolle hätte.) Wie du die Spaziergänge in dieser Zeit ausgestalten kannst, zeige ich in diesem Beitrag.

Während es die einen HundehalterInnen als eine Zumutung und gar eine Beschneidung der Persönlichkeitsrechte empfinden, regen sich andere weniger auf und finden es grundsätzlich normal, dass unsere Hunde nicht jagen gehen dürfen. Auch nicht im Winter. Ob dies nun gesetzlich vorgeschrieben werden muss oder erwartet werden könnte, ist eine andere Frage. Ich gehöre zu den anderen und finde es okay, dass unsere Hunde an der Leine bleiben während dieser Zeit.

Denn auch wenn dein Hund ein Reh beispielsweise «nur» hetzt und nicht tötet oder verletzt, ist der Stress und die Angst für die Tiere riesig. Zudem hast du keine Ahnung, was auf der Jagd gelaufen ist, es sein denn, dein Hund hat eine Kamera auf den Kopf gebunden, kommt mit blutiger Schnauze zurück oder schleift die Beute gleich hinter sich her. In diesem Fall bist du übrigens verpflichtet, den Wildhüter zu kontaktieren.

  • Im Kanton Bern dürfte dein jagender Hund übrigens ohne Vorwarnung vom Wildhüter abgeschossen werden. Ich habe zum Glück noch nie gehört, dass dies passiert ist. Dass der Wildhüter jedoch im Wald kontrolliert, ob die Hunde angeleint bzw unter Kontrolle sind, habe ich selber schon erlebt.

Mehr Infos zu gesetzlichen Vorgaben findest du hier: Stiftung Tier im Recht

Hat sich dein Hund nun aber doch alleine auf die Jagd gemacht und kommt wenige Minuten (im Idealfall) oder Stunden später (im schlechteren Fall) mit hängender Zunge zu dir zurück und blickt dich mit Adrenalin-geschwängerten Augen glückselig an, beweist du deine Impulskontrolle und nimmst ihn ruhig und ohne Kommentar an die Leine. Und diese lässt du für die kommenden Tage oder Wochen auf dem Spaziergang auch gleich dran. Für deinen Hund ist eine Jagd in hohem Masse selbstbelohnend und du tust echt gut daran, dieses Hobby mit Suchtfaktor gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Ein sicherer Rückruf kann übrigens gelernt werden. Aber das musst du üben und dabei auch ein paar Dinge beachten, sonst wird das nichts.

Freiheit ist auch mit Leine möglich und macht sogar Spass

Ich brauche es nicht schönzureden: auch an einer langen Leine ist dein Hund immer noch angeleint und kann sich nicht ganz frei bewegen. Und auch für dich gibt es auf dem Spaziergang etwas mehr zu tun, als wenn dein Hund einfach frei irgendwo herumläuft.

Es ist aber ganz einfach machbar, dass ihr euch beide wohlfühlt und dein Hund auf seine Kosten kommt.

Dazu braucht es

- eine genügend lange Leine (>3 Meter)

- dein korrektes Leinenhandling. Die Leine ist weder Sprung-, Abschleppseil noch Lasso.

- eine kluge Auswahl der Strecke.

Die ideale Leinenlänge

Ab 3 Meter fängt für einen Hund an der Leine das Leben an. Lediglich für kurze Strecken in der Stadt, im ÖV oder in sehr dichten Wohngebieten verwendest du eine kürzere Führleine.

Für mich persönlich bewährt sich die Leinenlänge von 5-Metern. Die Hunde haben viel Spielraum, können links und rechts den Weg erkunden, sich ein paar Meter zurückfallen lassen und ich kann das Material auch mit zwei Hunden noch gut in der Hand halten. Lange Schleppleinen von 10 Metern und mehr können super sein, sie erfordern von dir jedoch Training, Konzentration und ein gutes Leinenhandling. Zudem muss das Verhältnis von deiner Grösse und Kraft, der Leinenlänge und dem Körpergewicht des Hundes im Verhältnis stehen. Brettert deine 40kg Rottweilerhündin mit Anlauf in die 10-Meter Leine, fliegt dein Arm ev gleich mit und deine Hündin riskiert Verletzungen an der Brust- und Halswirbelsäule.

Flexileinen empfehle ich auf gar keinen Fall, ich verstehe gar nicht, wieso diese Dinger noch erlaubt sind und verkauft werden.

Schöne und qualitativ gute Leinen, die weich in der Hand liegen und gewaschen werden können gibt es zb hier: www.zahina.ch. Fragt nach, ich habe jeweils ein paar Leinen bei mir, die ich euch zum gleichen Preis weiterverkaufe.

Das richtige Leinenhandling

Vergiss keine einzige Sekunde, dass am Ende der Leine ein lebendiges Wesen hängt mit dem gleichen Schmerzempfinden wie du. Auch unsere Hunde haben keine Halsmuskeln aus Stahl.

  • Die Leine gehört immer in beide Hände

  • Wickle die Leine nie um dein Handgelenk

  • Deine Hände hältst du locker angewinkelt auf Höhe deines Bauchnabels

  • Die Leine hängt im Idealfall ganz leicht durch und bildet ein Lächeln – die «smiling leash» (so lächelt wenigstens eine von euch dreien 😉)

Die optimale Streckenwahl

Wo du spazieren gehst, hängt in erster Linie von den Fähigkeiten und dem Trainingsstand deines Hundes ab. Wie sind für ihn Hundebegegnungen an der Leine? Wie geht er mit JoggerInnen und Fahrrädern um?

  • Wähle im Frühling Strecken mit möglichst wenig Wild

  • Über Mittag ist auch im Wald weniger los als am Morgen früh und in der Dämmerung

  • Mit etwas Übung und der nötigen Ruhe kann dein Hund lernen, mit dir gemeinsam Wild zu beobachten

  • Wähle Spazierwege, die für deinen Hund vielleicht neu oder einfach besonders sind. Sichere und souveräne Hunde kommen auf einem Dorf- oder Stadtspaziergang auf ihre Kosten (zb Sonntagmorgen früh empfiehlt sich), unsichere Hunde vielleicht auf einer kurzen (20 Minuten reichen!) Entdeckungstour rund um ein (vielleicht geschlossenes) Einkaufscenter, auf einem Schulhausareal am Wochenende, rund um eine Tankstelle mit Waschanlage, an einem Fluss, am See Lass deinen Hund aus sicherer Distanz die neue Umgebung anschauen und gehe mit ihm auf Entdeckungstour.

  • Baue auf jedem Spaziergang eine kleine Futtersuche ein

  • Lege mal wieder eine einfache Fährte

  • Mach eine Picknickpause

  • Entdecke die Geräte auf dem Vitaparcours

Ohne Leine ist auch nicht immer frei

Ein Hund, der zwar ohne Leine läuft, von seinem Menschen aber andauernd zurückgerufen, korrigiert, gewendet, gestoppt, angesprochen, angespielt, kommentiert, gelobt, angeschrien, gemarkert, gestreichelt, zu was auch immer animiert wird, ist nicht frei, auch wenn keine Leine dran ist. Auch ein Hund, der ohne Leine am Bein seines Menschen klebt, is nicht frei.

Etwas anderes ist es, wenn dein Hund gemütlich frei umherzottelt, mal vorne läuft, mal hinten und immer mal wieder kurz bei dir andockt. Dieses regelmässige Andocken und gemeinsame Unterwegssein ist das Resultat eines guten Trainings und einer entspannten Verbindung. Damit dies jedoch möglich ist, musst du üben, du musst deinen Hund kennen und ihn lesen können. Nur so erkennst du die Zeichen, dass ihn die Umwelt überfordert, dass er müde ist und deine Unterstützung braucht, dass da vorne in der Waldspielgruppe 13 Schinkensandwichs gegessen werden oder dass ihm soeben die Spur eines Hasen in die Nase gestochen ist.

Viel Spass und bonne route!

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