Dein Hund, der Hellseher
Wie ist die Wetterlage heute?
Dein Hund verbringt den ganzen Tag damit, dich und deine Handlungen zu studieren.
In meinem Haus leben zwei Hellseherinnen. Wie sonst kann es sein, dass sie genau wissen, ob ich im Büro Papier hole oder ihre Leinen? Ob ich den Kühlschrank für mich öffne oder für sie? Das eine Mal bleiben sie liegen, das andere Mal stehen sie blitzschnell bereit. Meine Hunde erkennen unsere Freunde an der Art zu klingeln und wissen, dass es unsere Söhne sind, die Nachts um 3 Uhr ins Haus poltern - sie heben nicht mal ihre Köpfe, sondern öffnen nur verschlafen ein halbes Auge.
Wie machen die das bloss?
Die Sinne über Jahrtausende geschärft
Hunde leben seit rund 15’000 Jahren neben und mit uns. Sie haben ihre Fähigkeit perfektioniert, die menschliche Körpersprache und unser Verhalten zu lesen und zu verstehen und mit uns zu kooperieren. Mitunter dürfte ihre korrekte Einschätzung des menschlichen Verhaltens über ihr Leben entschieden haben, ganz sicher aber hat es ihnen geholfen, einen besseren Zugang zu Futter, Schutz und Anschluss an einen Sozialverband zu bekommen. Wölfe können übrigens, dies zeigen aktuelle Studien, unsere Körpersprache nicht in diesem Ausmass lesen und verstehen wie Hunde.
Kein Mensch beobachtet dich genauer
Dein Hund nimmt dich ohne Filter wahr und schaut dir zu, vom ersten Moment des Aufstehens bis du wieder ins Bett gehst. Ob du nun gedanklich bei ihm bist oder nicht, spielt dabei keine Rolle.
Wären unsere Hunde Verhaltensbiologen, würde man sagen, dass sie den ganzen Tag Ethogramme (Verhaltensprotokolle) von ihren Menschen anlegen. Tatsächlich kennt dich dein Hund wahrscheinlich bereits in- und auswendig.
Sie schauen uns aber nicht nur zu, sondern bilden aus dem Gesehenen und Erlebten für sich eine Schnittmenge. Die Schnittmenge aus Mimik, Gestik, Blicke, Stimmlage, Geruch, Ausdünstung, Kleidung, Tageszeit, Wetter, Umfeld etc. geben deinem Hund die relevanten Informationen, die sein Verhalten bestimmen.
Ziehe ich in den Winterferien nach dem Frühstück Skisocken an, machen es sich meine Hunde subito auf dem Bett bequem, ohne dass ich auch nur ein Wort sage. Ihnen ist klar: “Muddi geht Snowboarden, da haben wir mindestens 3 Stunden sturmfrei und dürfen auf ihrem Bett liegen.” Ziehe ich hingegen am späteren Nachmittag Skihosen an, stehen sie bereit für den Spaziergang im Schnee. Lippenstift, Parfum und Handtasche? “Pff, geht uns nichts an, wir pennen noch ne Runde”. Öffne ich den Schrank, in dem die Tasche für die Fährtenarbeit liegt, dann gibt es bei Chili kein Halten mehr und sie setzt alles daran, dass sie mitkommen darf.
Pikant daran: die Fährtenarbeits-Tasche liegt im gleichen Schrank wie die Putzutensilien. Was alles unterscheidet die Schnittmenge “Fährtenarbeit Vorbereitung” von der Schnittmenge “Bad Putzen”? Meine Stimmung, die Tageszeit, meine Gedanken oder die Gesamtheit aller kleinen Handlungen, die Chili darauf schliessen lassen, ob ich mich für einen Kurs vorbereite oder fürs Putzen?
Dies sind nur die sehr offensichtlichen, eigentlich schon plumpen Beispiele, wie genau uns unsere Hunde beobachten und ihre Schlüsse ziehen. Wenn du genau hinschaust, wirst du im Alltag noch unzählige Momente erleben, wo du dich kurz mal fragst: Aber hallo jetzt, weshalb weiss die da? Hunde täuschen wollen oder anlügen klappt übrigens nicht.
Dein Hund nimmt dich ernst
Was bedeutet das für dich im Zusammenleben und im Training?
Dein Hund reagiert auf dich immer unmmittelbar und ehrlich
Verhält sich dein Hund in gewissen Situationen “schwierig” und reagiert auf dich komisch, dann ist es ein klares Zeichen dafür, dass deine Anweisung oder dein Verhalten für ihn schlicht unklar ist oder unverständlich.Hunde sind die besten Lehrmeister in Sachen Selbstwahrnehmung
Wechsle die Perspektive und frage dich: “Wäre ich mein Hund, hätte ich mich dann verstanden? Hätte ich der Anweisung in dieser Situation überhaupt folgen können? Hätte ich es gerne getan? “ Falls du eine dieser Fragen mit nein beantwortest, beginnst du nochmals von vorne und verhälst dich so, dass dich dein Hund versteht.Sei dir deiner Körpersprache bewusst
Stimmen deine Signale mit deiner Körperhaltung und deiner Überzeugung überein?
Hierzu ein Beispiel aus der Praxis
Dein Hund wird nicht freudig zu dir zurückkommen, wenn du leicht nach vorne gebeugt, angespannt und mit starrem Blick in frontaler Ausrichtung “Hier!” rufst. Deine Körperhaltung gleicht jetzt nämlich der Körperhaltung eines Hundes, der sehr angespannt ist, allenfalls seine Aggression hemmt und sich gerade noch zurückhalten kann. Für jeden anderen Hund bedeuten diese Zeichen, dass jetzt Abstand gefordert ist, weil es sonst gleich knallt.
Stehst du nun also auf diese Weise deinem Hund gegenüber, verunsicherst du ihn: die Stimme ruft “Komm zu mir”, die Körperhaltung jedoch sagt, dass er sich bloss nicht annähern soll. Ein schnelles und frontales Herankommen, das weiss dein Hund sehr genau, könnte einen Angriff auslösen. Dein Hund will keinen Streit, mit dir schon gar nicht. Er wird nun mit Übersprungs- und Beschwichtigungsverhalten reagieren und auf diese Weise versuchen, die Situation zu entschärfen und deine Stimmung zu verändern. Herumkasperln, Bellen, intensives Schnüffeln am Wegrand, Verlangsamen, sich Hinsetzen und hingebungsvoll Kratzen können Strategien sein, dich milde zu stimmen. Spätestens jetzt müsstest du dich entspannen, deine Körperhaltung verändern, weich werden und deinem Hund aus dem Konflikt helfen. Nicht selten jedoch werden die Menschen ärgerlich, ungeduldig und damit noch starrer und machen es dem Hund noch schwieriger, zurückzukommen. Dies wiederholt sich nicht selten täglich mehrmals… jahrelang…. Die Lösung wäre einen Schritt entfernt: Perspektivenwechsel und Wissen über Hundeverhalten.
Lerne, die Sprache deines Hundes zu lesen und zu verstehen
Schau deinem Hund im Alltag zu. Ohne Wertung und ohne Filter. Was will er sagen? Wie verändert er sich, wenn du dich veränderst?Lass dich filmen und achte auf deine Körpersprache
Irgendjemand hat immer ein Smartphone dabei. Lass dich aus der Perspektive deines Hundes dabei filmen, wie du ihn abrufst, an der Leine ziehst, auf den Kopf tätschelst oder irgendein Kommando gibst. Du kannst den Film nachher ja gleich wieder löschen….
In meinem Kurs “Körpersprache” arbeiten wir immer mit Film und es ist für mich die beste Art und Weise, die eigene Selbstwahrnehmung und Körpersprache zu trainieren.
Ich wünsche euch viel Spass beim Beobachten eurer Hunde. Lasst mir alle HellseherInnen in eurem Haushalt grüssen und tragt Sorge zu euch und euren Superfühlhelden!