Wenn Hunde aneinandergeraten

Hunde beim Spiel

Das sieht wild aus, ist aber ein vertrautes Spiel unter Freunden

Trotz aller Vorsicht kann es passieren, dass dein Hund in einen Konflikt oder Kampf verwickelt wird. Dabei kann dies von einer - zwar unschönen - aber harmlosen Rauferei bis zu einem ernsthaften Kampf gehen. Während früher die Meinung vorherrschte, dass “die das schon unter sich regeln” und die Menschen meist auch tatsächlich recht entspannt waren, wenn “Bäru mal wieder den Fridu gwuschet het”, ist die Situation heute eine andere. Es gibt viel mehr Hunde, der Platz ist enger, die Rassen diverser und die Menschen sind deutlich weniger gelassen.

Noch einmal: niemand von uns will, dass unsere Hunde kämpfen müssen. Denn Hunde wollen keinen Streit und wenn sie nur noch den Kampf zur Verfügung haben, um ihre Sicherheit zu gewährleisten, haben wir etwas verpasst. Und das hier ist auch kein Plädoyer dafür, sich einfach schulterzuckend vom Acker zu machen, wenn ein Konflikt da war. Ich erlebe jedoch zunehmend, und das ist das andere Extrem, dass HundehalterInnen so grosse Angst davor haben, dass ihrem Hund etwas passieren könnte oder dass er etwas tun könnte, dass sie sie am liebsten nur noch auf dem Arm tragen würden. Und das kann es auch nicht sein.

Hunde sind soziale Lebewesen und Individuen mit Emotionen, Gefühlen, Trieben, Schmerzen, Erfahrungen. Auch wenn sie super trainiert sind, aus einer einwandfreien Zucht stammen, die beste Ernährung haben, können sie Reaktionen zeigen, die wir sie so nicht erwartet haben. Und auch wenn im Rassebeschrieb steht, dass der Hund eigentlich nahezu perfekt für den menschlichen Alltag gemacht ist, bleibt er eine Persönlichkeit und muss meines Erachtens muss er hündisches Verhalten zeigen dürfen.

Genauso wie wir ausflippen oder gar ausrasten können, können dies auch unsere Hunde.

Die Hunde kriegen sich in die Wolle. Vielleicht ist dein Hund “Angreifer”, vielleicht “Opfer”, vielleicht auch beides. Was tun in der Angst?

Es gibt auch hier nicht die allgemeingültige Regel und es ist wie immer: es kommt auf die Situation an, auf die Hunde, auf den Auslöser und auf deine Möglichkeiten.

Für dich als Mensch kann es gefährlich sein, zwischen die Hunde zu greifen. Tatsächlich tun wir das wohl aber alle mehr oder weniger reflexartig und ziehen die Hunde auseinander. Schreien die Menschen herum und treten mit den Füssen nach den Hunden oder schlagen mit der Leine dazwischen, heizen sie den Kampf unter Umständen noch zusätzlich an. Es kann funktionieren, dass du eine Jacke oder Wasser auf die Hunde wirfst und den Moment der Verwirrung nutzt, um die Streithähne auseinanderznehmen. Oder halt eben doch beherzt und ruhig deinen Hund zu fassen versuchst.

Verletzungen?

Sorge für eine sichere Distanz zum anderen Hund und schau gut und in Ruhe hin, ob die Hunde verletzt sind. Bissverletzungen können heimtückisch sein, weil sie manchmal nicht bluten, sich unter der Haut jedoch entzünden. Untersuche deinen Hund auch noch mehrere Tage nach dem Vorfall auf “Beulen” (es könnte ein Abszess sein) und Schrammen. Grössere Wunden gehören in tierärztliche Behandlung, Abszesse ebenfalls. Kleinere Wunden kannst du sorgfältig reinigen und desinfizieren.
Arnika und Ledum als Globuli sind bewährte homöpathische Mittel, die du so rasch als möglich verabreichen kannst. Auch Notfalltropfen können dabei helfen, deinen Hund (und dich) wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

Kennen wir uns?

Tausche immer Name und Telefonnummer aus, wenn du den oder die BesitzerIn nicht schon kennst. Auch wenn auf den ersten Blick nichts passiert ist, kann sich eine Verletzung erst am nächsten Tag zeigen und du musst dennoch in die Tierarztpraxis. Für diese Kosten kommt die Haftpflichtversicherung des Verursachers auf.

Er war’s! Nein, er war’s!

Nur weil sich die Hunde geprügelt haben, müssen sich die Menschen nicht gleich auch noch verbal zur Schnecke machen. Je rascher und sozialkompetenter die Menschen die Situation unter sich klären, desto einfacher ist es auch für die Hunde, sich wieder einzurenken. Hunde lernen übrigens auch durch Nachahmung und ja, Stimmungsübertragung ist auch hier einmal mehr ein wichtiges Thema.

Fight” ist eine der Strategien, auf die unsere Hunde (und wir*) in einem Konflikt zurückgreifen. Flight, Freeze, Fiddle about gehören ebenfalls zu diesen Konfliktlösungsstrategien. Greift ein Hund an oder droht offensiv, ist allen sofort klar, dass hier ein Problem besteht. Hunde, die sich zurückziehen, herumkasperln oder erstarren, werden leider viel eher übersehen und ihre Not wird nicht ernst genommen. Die Emotion hinter dem Verhalten ist meist aber genau die gleiche und dein Hund braucht genauso deine Unterstützung.

*Der sehr empfehlenswerte Podcast “Beziehungskosmos” hat eine super Folge zu den Konfliktlösungsstrategien, wie wir sie anwenden.

Und jetzt?

Wenn der Schrecken etwas nachgelassen hat, geht es an die Analyse. Kannst du dir erklären, weshalb dein Hund so reagiert und angegriffen hat? Oder weshalb er Opfer eines Angriffs wurde? Was war vorher auf dem Spaziergang oder in den letzten Tagen? Wie warst du an diesem Tag drauf? Andere Route, klarere Grenzen, Schleppleine, Maulkorb, Verhaltenstraining, Körperarbeit, Leinenhandling, Untersuchung auf Schmerzen, mehr Schlaf und Ruhe, Termin bei der Verhaltenstrainerin oder Tierärztin usw.? Und vielleicht war es einfach nur Pech, dumm gelaufen, eine Bagatelle, und du musst nichts weiter tun, als dich jetzt wieder abzuregen.

Beziehung wieder herstellen und Sicherheit geben

Dein Hund braucht nach einem Vorfall ein paar Tage Ruhe und Sicherheit, um die ausgeschütteten Hormone wieder ins Lot zu bringen. Und du übrigens auch.

Unternimm viele gemütliche Spaziergänge und mach all das, was dir und deinem Hund Freude bereitet. Fülle dein positiv Konto mit deinem Hund auf. War dein Hund der Angreifer, versöhne dich wieder mit ihm. Stell die Beziehung wieder her. Er hatte, aus seiner Sicht, seine guten Gründe und (noch) keine andere Strategie zur Hand als “Fight”. Arbeite daran und führe deinen Hund so, dass er dieses Verhalten nicht mehr zeigen muss oder kann. Führe ihn vielmehr so, dass er sich wohl fühlt und im grünen Bereich kommunizieren kann. Wurde dein Hund angegriffen, gib ihm ganz viel Sicherheit und soziale Unterstützung und sorge für gute Hundebegegnungen. Und auch hier: wo braucht dein Hund Unterstützung, um sich souverän zu verhalten und Situation eigenständig zu lösen?

Meine persönliche Erfahrung

Ich habe beide Seiten bereits erlebt: meine Hunde wurden angegriffen und sie haben angegriffen. Was ich in diesen Situationen brauche, ist ein offenes Ohr und das Gespräch mit einer erfahrenen Freundin (Grazie mille nach Italien ;.-) . Gemeinsam ordnen wir ein und versuchen zu verstehen. Das ist für mich der erste Schritt. Im zweiten Schritt geht es an die Selbstreflexion und Praxis: Wo muss ich noch mehr wissen und was sollte ich üben? Wo brauche ich mehr Management? Worauf muss ich in Zukunft achten und was darf ich vorerst nicht mehr tun?

Ich versuche, so rasch als möglich wieder ins Vertrauen zu kommen. Da hilft es mir, wenn ich mich mit meinem Hund mit seinen liebsten Hundekumpels treffe und ich ihn wieder entspannt und fröhlich sehe.

Für eine Verhaltensänderung seitens Mensch bewähren sich die sogenannten Wenn-Dann-Pläne (aus dem Zürcher Ressourcen Modell). Du definierst die Situation genau, also zb: in einer unübersichtlichen Kurve hat sich mein Hund erschreckt und ist nach vorne geschossen. Oder: Wenn Kinder auf Besuch sind, hat er Stress und schnappt. Oder: Wenn er Postbote kommt, flippt er am Gartenzaun aus usw. Je genauer die Situation definiert ist, desto besser. Jetzt formulierst du ein Verhalten dazu: dazu: “Wenn ich an eine unübersichtliche Stelle komme, dann leine ich meinen Hund an". Bzw “Wenn Kinder auf Besuch sind, dann verwende ich ein Türgitter und trenne Hund und Kind voneinander ab.” Oder :“Wenn der Postbote kommt, dann ist mein Hund im Haus”.

Diese Dinge tust du ab sofort immer, ohne lange zu überlegen und abzuwägen. Und damit dies klappt, schreibst du dir diesen Satz auf und liest ihn mehrere Male laut vor, damit er sich wirklich einbrennt und in eine Haltung übergeht. Auch wenn das jetzt etwas doof tönt, tu es. Es funktioniert grandios und macht das Leben ein kleines Stück einfacher.

Falls Anzeige und Meldung an das Veterinäramt

Muss ein Hund in tierärztliche Behandlung, kommt es in der Regel auf die Verletzung und die Art des Vorfalls an, ob der Tierarzt dem Veterinäramt eine Meldung zum Vorfall macht. In diesem Fall entscheidet das Veterinäramt über die nächsten Schritte. Dies kann eine Busse sein und/oder eine Auflage wie eine gewisse Anzahl Trainingsstunden bei einer Verhaltenstrainerin, eine Wesensprüfung, eine Leinen- oder Maulkorbpflicht oder, im alleräussersten Fall, eine Beschlagnahmung oder gar Euthanasie. 
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Impulskontrolle macht müde und aggro. Warum wir am Dessertbuffet ausflippen.

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